Als im März 2020 auf einmal ein Konzert nach dem anderen abgesagt wurde und auch sämtliche Gitarrenworkshops flach fielen, war von jetzt auf gleich alles anders. Der Weg, den ich bis dahin immer klar vor mir gesehen hatte, das Ziel, für das ich mich anstrengte, über meine Grenzen ging, das mir Mut, Hoffnung und Kraft gab, war plötzlich vernebelt. Seit diesem März fühle ich mich ein bisschen so, als ob ich in der Luft baumeln würde und mein innerer Kompass durchdreht.
Ich habe hier in diesem Blog immer wieder davon geschrieben, dass für mich „gesehen und gehört werden“ für eine positive Identitätsbildung und überhaupt für ein umfassendes Sein existentiell sind. Wir entfalten uns alle nicht im leeren Raum, sondern in Begegnungen und in der Resonanz mit anderen.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wenn diese Resonanz und die Begegnungen fehlen, dann kann man das Gefühl für das eigene Sein verlieren. Ich fühle mich gerade immer wieder in vergangene Zeiten versetzt, als ich in meinem Selbstverständnis ein Junge bzw. ein Mann war, die Menschen um mich rum aber ein Mädchen, eine Frau sahen. Es hat viel Kraft gekostet, trotz fehlender Bestätigung von außen und ohne Vorbilder herauszufinden, wer ich bin und mir selbst treu zu sein. Der Weg wurde aber immer einfacher je mehr mein Äußeres auch für den Rest der Welt zu meinem Inneren passte.
Seit März 2020 erinnere ich mich öfter an dieses Gefühl, denn ein bisschen geht es mir als Musiker in diesen Zeiten genau so wie damals, als ich mich fragte: „Bist du ein Mann, auch wenn es niemand sieht?“
Wann ist ein Musiker ein Musiker?
Analog dazu frage ich mich heute immer mal wieder: „Bist du Musiker, auch wenn dich niemand hört?“ Live-Konzerte vor Publikum, das Gefühl, dass die Songs, an denen ich lange gearbeitet habe, an „fremde Ohren“ gelangen und sich dadurch in der Welt entfalten, das Lampenfieber, die Gespräche und der Applaus, dieses großartige Gefühl, wenn du mit deinen Mitmusiker*innen zusammen groovst – all das ist existentiell für mich als Musiker und Liedermacher. Und je länger das fehlt, desto mehr zieht sich irgendwas in mir zurück und ich fühle mich so leer wie mein Terminkalender auf meiner Website.
Und natürlich spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: „Bist du Musiker, auch wenn du auf die sogenannten nicht-künstlerischen Tätigkeiten ausweichen musst, um deinen Lebensunterhalt zu sichern?“ Für mich war gerade dieser Punkt, nämlich dass ich vor Covid in der Lage war, mich durch meine Musik zu finanzieren, wichtig für mein Selbstverständnis.
Mensch sein
Aber wichtiger als das Geld ist die Resonanz. Und wie damals, als die Gesellschaft mich noch als weiblich einordnete und ich tief in mir wusste „Ich bin ein Junge!“, weiß ich auch heute: Ja, ich bin Musiker oder anders gesagt, egal, was passiert, Musik gehört zu mir, gehört zu meinem Leben dazu.
Heute wie damals mach ich allerdings auch die Erfahrung, dass das allein nicht reicht. Ich brauche andere Menschen, ein Netzwerk, einen Zusammenklang, Bestätigung und Resonanz, sonst wird es still in mir. Zu still.
Und an diesem Punkt geht es längst nicht mehr „nur“ um das Musikersein. Es geht ums Menschsein. Dafür brauchen wir alle andere Menschen. Menschen, die uns berühren, die uns zuhören, die sich uns öffnen, die da und nah sind. Ich hoffe, dass ich es weiterhin schaffe, für die Menschen um mich herum da zu sein, auch wenn es durch Covid auf allen Ebenen anstrengender geworden ist, in Kontakt zu gehen und ich manchmal kurz kapituliere.
Covid und die vielen (beruflichen) Einschränkungen haben mich in den letzten zwei Jahren immer mal wieder zweifeln lassen, ob ich das mit der Musik nicht einfach lassen soll. Aber ähnliche Fragen habe ich mir während des ganzen Angleichungsprozesses auf dem Weg zum Mannsein gestellt – hab’s dann nicht gelassen und bin froh darüber.