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Nicolai Burchartz

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The other side

Auf dem Weg in mein Büro – das auch Atelier, Proberaum und Musikzimmer ist und daher unter dem Namen „KüWo“ = Künstlerwohnung läuft – habe ich eben den Song „On the other side“ von Tina Dico gehört. Kennt ihr das, dass euch manchmal die Zeilen eines Liedes, das ihr vorher schon zigmal gehört habt, plötzlich neu berühren?  
Heute war es dieser Song, der in mir einiges aufgewühlt hat. Ganz kurz skizziert geht es hier um die Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben, die einen – so meine Interpretation – antreibt, sich anzustrengen und alles für ein Ziel zu geben. Der Song schildert eine Traumsequenz, in dem dieses Leben plötzlich zum Greifen nah ist und ein Blick hinter die Tür „on the other side“ gewährt wird. Doch dort wartet nicht das antizipierte allumfassende Glück, sondern Leere. Am Ende steht die Akzeptanz „dieser Seite“, also des eigenen Lebens – real, reich und unvollkommen. 

Wenn ich das geschafft habe, wird alles besser! 

Beim Hören des Songs habe ich mich ertappt gefühlt. Ich kenne diese Sehnsucht nach „the other side / der anderen Seite“ und die Anstrengung, die damit verbunden ist, alles zu geben, damit ich dorthin komme. Wenn ich es nur genug will und Disziplin aufbringe, dann kann ich es schaffen. 

Meine ganz große „andere Seite“ ist wohl das „Mannsein“. So viele Jahre habe ich nahezu alle Energien darauf gerichtet, auf dieser anderen Seite anzukommen. Hier war Leid, Schmerz und Unglück; dort, so dachte ich lange Zeit, Leichtigkeit, Erfüllung und Glück. Alle meine Probleme wären gelöst. Ich wäre erlöst. 

Und tatsächlich ist heute, wo ich in dieser Gesellschaft als Mann akzeptiert bin, vieles leichter und ich fühle mich „richtiger“ oder einfach stimmiger. Aber dass ALLES gut ist, war natürlich eine trügerische Vorstellung (genauso wie mein Leben vor der Angleichung natürlich nicht nur aus Leid bestand – weit davon entfernt!). Ich bin keineswegs wie einer der Männer, die ich mir früher so in meinem Kopf imaginiert habe und die meine Idealvorstellung für mich selbst waren. Und die Welt ist immer noch genauso schwierig, verwirrend und unkontrollierbar wie früher. 

Schleichende Selbstakzeptanz 

Die Wahrheit ist, dass ich nicht irgendwann an einem Ziel angekommen und „Mann“ bin. Es war und ist ein schleichender Prozess der Selbstakzeptanz. Ein niemals endendes Hinspüren, wer ich wirklich bin, ein mutiges Hinschauen, das dazu führt, dass ich Dinge im Äußeren ändere (z. B. in Form einer Geschlechtsangleichung aber auch kleinere Aspekte meines Lebens) und dass ich mich traue, Entscheidungen zu treffen und Dinge zu tun, hinter denen ich stehen kann und die meiner Überzeugung entsprechen. 

Meine Idee, dass ich irgendwann als neuer Mensch wie der Phoenix aus der Asche auferstehe, war schlichtweg Quatsch. Meine alten Ängste, Probleme, Zweifel und Sorgen haben sich nicht an Punkt X in Luft aufgelöst. Ich schleppe sie weiter mit – einige zwar mehr als andere und manche haben sich mit mir transformiert, aber ich bin immer und ständig mit meinem ganzen Weg und meinen Erfahrungen (viele davon auch positiv und stärkend) verbunden. 

Was das Thema Transidentität angeht habe ich diesen Zustand des ständigen Wandlungsprozesses akzeptiert, ja sogar umarmt. Ich spüre keine brennende Sehnsucht mehr danach, ein anderer Mann zu sein als der, der ich bin, und renne keinem Traumbild davon mehr hinterher. 

Die neue andere Seite 

Das Blöde an der Sehnsucht ist jedoch, dass sie sich einfach neue Ziele sucht. Manche sind kleiner, wie z. B. der Wunsch nach einer neuen Jacke, nach Urlaub in den Bergen oder z. B. die Idee, dass ich unbedingt ein Häuschen mit Garten für mein Glück brauche. Dieses Häuschen hat in meiner Vorstellung Fenster bis zum Boden, durch die vom Garten her Sonnenlicht in ein gemütliches Wohnzimmer fällt. Dort sitze ich dann in meinem Sessel und lese tiefenentspannt, aber hellwach ein Buch. Brauche ich dieses Haus mit den Fenstern, um den Seinszustand zu spüren, in den ich mich hier hineinsehne? 

Meistens hält meine innere Sehnsucht sich aber auch gar nicht erst mit solchen Sachen auf und richtet sich auf ein viel wirksameres Ziel – mit dem hat sie mich Jahre lang im Griff gehabt: das Musikersein. Hier bin ich viel empfänglicher für die Logik, dass ich aktuell noch kein richtiger Musiker bin (zu wenig Konzerte, zu wenig Gage, mehr üben, toller sein, besser sein, souveräner sein, mehr wissen, mehr können, mehr machen!). Und hinter der Tür winkt der Ruhm, das Glück, der Erfolg und die Möglichkeit, Menschen zu erreichen und mit meiner Musik, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen! Wenn ich mich nur genug anstrenge und das Ziel stets im Auge behalte, dann komm ich da schon hin. 

Ich kann mit dem Bild aus Tina Dicos Song, sein Leben lang an eine verschlossene Tür anzuklopfen und zu versuchen, auf die andere Seite zu kommen, viel anfangen. Bei Tina Dico ist hinter der Tür die Leere. Was wartet hinter meiner Tür auf mich?  

Hiersein 

Ich möchte meine Zeit nicht mehr mit dem Klopfen an ungewissen Türen verschwenden. Ich glaube zwar immer noch, dass es wichtig ist, sich zu fokussieren und zu schauen, wohin ich meine Kraft, Liebe, Kreativität und Aufmerksamkeit lenken möchte. Ich möchte dies jedoch nicht mit dem Gefühl „on the run to the other side“ tun. Manchmal bin ich traurig, wenn ich spüre, dass meine Zielgerichtetheit mich von vielen kostbaren Momenten (besonders von Begegnungen mit Menschen) abgelenkt hat, die in meinem Leben auf dieser Seite passiert sind, während ich verbissen gegen diese Tür gehämmert hab. Wenn ich weiter so auf die Tür eindresche, huschen all diese Momente an mir vorbei und werden dem großen Ziel untergeordnet. Wenn das erreicht ist, kann ich endlich den Moment genießen. Paradox, da ich an so vielen kostbaren Momenten vorbeigerast sein werde, nur um zu erkenn, dass der große Moment nie kommt– doppelt paradox! 


Meine größte Sehnsucht aktuell ist daher, die Sehnsucht loszulassen und „hier im Moment zu sein“. Es fällt mir schwer, denn diese Welt ist irre und ich sehne mich danach, etwas tun zu können, damit wir nicht alle durchdrehen. Aber: Ich höre auf an die Tür zu klopfen. Ich lebe jetzt. Ich bin jetzt. Ich umarme, was mir das Leben schenkt und übe mich im Vertrauen in die vielen kleinen Momente. Zumindest ist das die Idee…

02/28/2022

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