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Nicolai Burchartz

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Kabelbinder und Orchideen

Ich bin nicht gut im Handwerken. Ich hasse es, Löcher in die Wand zu bohren, Regale aufzuhängen oder Schränke zusammenzubauen. Schon als Kind habe ich mich dafür nicht besonders interessiert. Mit Anfang 20 konnte ich daher auch gerade mal die top 3 der Werkzeuge in meinem Werkzeugkasten benennen.  


Dann werde ich mal Stage Hand 


Trotzdem (oder gerade deshalb!) meldete ich mich in den ersten Semesterferien zu einem Studierendenjob bei einem klassischen Musikfestival. Und zwar nicht wie die anderen Musikwissenschaftler*innen im Künstlermanagement, sondern als Stage Hand. Drei Wochen lang Bühnen und Bühnenbilder aufbauen, Stühle stapeln und entstapeln, Kabel verlegen, Kabel binden, sperriges Zeug mit dem Sprinter rumkutschieren und schleppen, schleppen, schleppen.  


Mit mir im Team: drei Frauen, ein Mann (den wir alle nur Popeye nannten, weil er fast so viel mit einer Hand tragen konnte wie eben Popeye). Und eben ich, ein Geisteswissenschaftler mit null Ahnung.  


Kabelbinder? Haben wir nicht mehr! 


Direkt am ersten Tag  habe ich mich total blamiert, weil ich keinen Schimmer hatte, wie ein Kabelbinder aussieht. (Der Dialog dazu: Mein Chef: „Haben wir noch Kabelbinder?“ Ich mit Blick in eine mit Kabelbindern volle Schublade: „Ich glaube nicht?“ Chef: „Aber da sind doch ganz viele!“ Ich: „Achso, klar, Kabelbinder. Nee, hamwa noch genug!“). Also habe ich mir abends im Werkzeugkeller meiner Eltern von meinem Vater eine Einführung zum Thema „Werkzeug und wozu es gut ist“ geben lassen. Mein Bruder stand grinsend daneben und ich konnte nicht fassen, dass das alles in den letzten Jahren an mir vorbei gegangen war! 


Ab diesem Tag war ich zwar besser informiert, aber immer noch ein lausiger Stage Hand. Zwar kann ich zupacken (als Kind habe ich immer auf einem Bauernhof geholfen, dann in der Gastwirtschaft meiner Eltern lange gekellnert und später zig Wohnungen renoviert), aber bei vielen der Stage-Hand-Aufgaben war ich damals Lehrling.  


Vertrauensvorschuss 


Anders übrigens als die drei Frauen und Popeye. Man sollte also meinen, dass ich in der Vertrauensliste aller am Festival Beteiligten am Ende der Stage-Hand-Hackordnung stand. Erstaunlicherweise war das aber nicht so. Selbst nachdem ich mich als jemand geoutet hatte, der noch nicht mal weiß, wie ein Kabelbinder aussieht (während meine Kollegin schon die Kabel damit befestigte), wandte mein Chef sich in Koordinationsfragen und mit neuen Aufgaben an mich. OK, zuerst an Popeye, aber wenn der nicht da war, dann an mich und nicht etwa an meine Kolleginnen.  


Qualifikation: Männlich 


Das war mir peinlich und besonders eine meiner Kolleginnen, die sowas von genau wusste, was sie tat, war „not amused“. Aber, egal wie kompetent sie den Job meisterte, wenn es Fragen gab, kam Chef auf mich zu. Ich machte hier zum ersten Mal die Erfahrung, dass ich als Mann in bestimmten Bereichen einfach nur so, ohne etwas zu tun, extra Credit bekam. Meine Qualifikation: Ich sah aus wie ein Mann.  


Ich habe noch lange über diese drei Wochen Stage Hand nachgedacht und darüber, wie unsere Geschlechterzuordnung beim Gegenüber bestimmte Erwartungen provoziert. Ähnliche Erfahrungen habe ich seitdem immer wieder gemacht. Übrigens auch in die umgekehrte Richtung: Wenn es beispielsweise um Kinder geht, dann spüre ich in der Gesellschaft (so bilde ich es mir ein) eine Tendenz, Frauen mehr zu vertrauen als Männern.   


Wohin mit den Orchideen? 


Zur Eskalation kam es damals beim Fesitval übrigens, als wir fünf einen Extra-Job für einen Umzug übernahmen. Der fand im schicken Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel statt. Vier fünf (zur Erinnerung: 3 Frauen, zwei Männer) trugen

hochwertige Möbel aus dem fünften Stock eines noblen Altbaus eine enge Treppe hinunter.  
Während Popeye und ich eine furchtbar schwere Tischplatte hinunterhievten (auch das hätte meine Kollegin besser gekonnt, denn sie war um einiges größer und stärker als ich. Aber das sollten laut Auftraggeberin „die Männer“ machen.), begannen die drei Frauen oben einen Glastisch sicher zu verpacken. Der Kommentar der Auftraggeberin bzw. der Mieterin, wie er mir später von meiner Kollegin erzählt wurde: „Dürfen Sie das denn schon? Wollen Sie nicht auf die beiden Männer warten?“  


Mit tief Durchatmen und der Versicherung „wir kriegen das schon hin“ machten die drei weiter. Als ich dann allerdings in der neuen Wohnung ganz zum Schluss die letzte Pflanze reintrug und die Mieterin meine Kollegin fragte „Was meinen Sie? Wo soll ich die Orchideen am besten hinstellen?“ schallerte ihr ein „Ist mir doch scheißegal, wo Sie Ihre Scheiß-Orchideen hinstellen!“ entgegen.  


Meine Kollegin schmiss die Handschuhe und stürzte raus, während ich kurz dachte, dass die Orchideen doch am besten an dem großen Wohnzimmerfenster aussähen. Bei diesem Thema schien ich allerdings für die Mieterin von vorne herein disqualifiziert zu sein. Ich wurde gar nicht gefragt.  

Pay-Gap

Wir haben übrigens jede und jeder für den Umzug 50 Euro bekommen. Außer Popeye: Der hat noch die Waschmaschine angeschlossen und dafür von ihr nochmal 20 Euro extra zugesteckt bekommen. 

11/19/2019

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in transition, wahrnehmung, trans-alltag

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