Lange, lange, laaaaaaange Zeit war mein oberstes Ziel: Endlich Mann sein! Endlich als Mann sichtbar, endlich nicht mehr die „junge Frau“ sein. Endlich keine irritierten Blicke aushalten, endlich keine Double-Takes mehr auf öffentlichen Toiletten!
Zu Anfang meiner Transition waren das die größten Momente: Ein Kellner im Café, der mich „junger Mann“ nennt, eine Verkäuferin in London, die mich mit „Sir“ anspricht. Oh Joy! Mit jedem „junger Mann“ mit jedem „er“ und jedem „Sir“ trat mein wahres Ich aus dem Schatten in die reale Welt. Heraus aus der Fantasiewelt, in der es so lange festsaß.
Irgendwann hatte ich die Welt überzeugt. „Sir“ und „er“ wurden normal. Ich fürchtete mich nicht mehr vor Begegnungen mit Fremden und mein Alltag lief leichter. Wie gut mein Passing war, verdeutlichte mir ein Wolf. Ein echter Wolf.
Wolf Conservation Center
Erika und ich waren zu Besuch bei unserem Freund Henry, der damals in New York ein Wolf Conservation Centre leitete. Hier werden Wölfe so natürlich wie möglich aufgezogen, um dann ausgewildert zu werden. Wir schliefen in seinem Haus am Rand der weitläufigen Anlage und hörten nachts die Wölfe heulen!
Während die meisten Wölfe sich in ihren Gehegen rar machen und Kontakt zu Menschen nicht gewünscht ist, gibt es eine Handvoll Wölfe, die an Menschen gewöhnt sind. Diese sogenannten „Ambassador-Wölfe“ sind Botschafter für das Projekt und übernehmen so die wichtige Aufgabe, Menschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, diesen wunderbaren Tieren ihren Lebensraum zurückzugeben.
Meine Begegnung mit dem Wolf
Am ersten Abend stapften wir also mit Henry zu einem der Gehege. Ein beeindruckend großer, weißer Wolf lag majestätisch auf einem Felsbrocken: Atka, der älteste der Ambassador-Wölfe. Als wir uns dem Zaun näherten, erhob er sich und trabte leichtfüßig auf uns zu.
„He doesn’t like men“, er mag keine Männer, warnte uns Henry noch kurz und kniete sich dann an den Zaun. Atka begrüßt ihn sichtlich erfreut mit Wolfsküssen. Henry gehörte offensichtlich zum Rudel. Erika und ich knieten uns neben Henry an den Zaun und Atka drehte sich und stolzierte einmal an uns vorbei. Erika ließ er links liegen, als er jedoch bei mir angekommen war, knurrte er ein tiefes, tiefes Grollen. Sowas hab ich vorher noch nicht gehört und wenn nicht ein Zaun zwischen uns gewesen wäre, wäre ich losgesprintet!
I am a man!
„I told you, he doesn’t like men.“ Henry grinste, während Atka mich auf dem Rückweg noch einmal angrollte, Erika keines Blickes würdigte und Henry abschlabberte. Und auch ich grinste breit. Mein Passing schien perfekt: I am a man – certified by Wolf.