Dieses Foto von mir hat der Fotograf, Künstler und Umweltaktivist J Henry Fair gemacht. Das war am Ende einer langen Session, für die wir quer durch Berlin gelaufen sind. Ich war schon ziemlich müde und Henry rief mir immer wieder zu: „Wake up Nicolai!“
Sein Ruf hallt in mir nach und scheint mir mittlerweile prophetisch. Warum?
Dafür muss ich mal kurz von dem Foto weg und einen Schlenker zur WDR-Lokalzeit machen. Vor ein paar Wochen hat mich der WDR für einen Beitrag in besagter Lokalzeit besucht. Es ging um mich als trans* Mensch. Der Dreh (2 Tag für 4 Minuten Sendezeit!) hat in mir einiges in Bewegung gebracht, alte Themen hochgespült und neue Fragen aufgeworfen. Der Beitrag wurde am 17. November in der Lokalzeit Düsseldorf und Bergisches Land gezeigt (hier könnt ihr nochmal reinschauen - ab Minute 20.00: Beitrag ansehen).
Eine plötzlich für mich im Raum stehende Frage, die mir tatsächlich auch jemand ein paar Tage nach dem Dreh auf einer Party stellte, war: Verstehst du dich selbst als Aktivist für trans* Rechte?
Uff, bin ich Aktivist?
Ich hab mich das nach dem Lokalzeit-Dreh selbst gefragt. Die Journalistin und der Kameramann waren sehr einfühlsam und die Zusammenarbeit locker und freundlich. Und trotzdem hat mich das alles sehr angestrengt. In wenigen Sätzen kurz auf den Punkt bringen, was meine Transidentität für mich bedeutet, wie es mir damit in dieser Gesellschaft geht, über besondere – schöne und nicht so schöne – Erfahrungen reden und dann alles abgeben und hoffen, dass in vier Minuten meine „Message“ rüberkommt.
Wie bei jedem Zeitungsartikel oder Interview, die bisher über mich erschienen sind, stand die Angst vor Kontrollverlust wieder bei mir auf der Matte! Als Aktivist hab ich mich nicht gefühlt. Ganz im Gegenteil: Mir war nach Decke über den Kopf ziehen und nicht mehr rauskommen.
Und jetzt wieder zurück zum Foto, das ich mir gerade noch einmal anschaue:
Ich steh da also auf der Treppe, das Dunkle hinter mir, das Licht im Gesicht und jemand ruft „Wake up Nicolai!“ Ich denke: Ich muss aufwachen und aus meinem sicheren Versteck raus. Ich will mich nicht verstecken. Als Musiker brauche ich die Bühne. Und auf der stehe ich vor meinem Publikum als Liedermacher und als trans* Person. Aus dem einfachen Grund, weil es das ist, was ich bin. Immer.
Und wenn ich damit, wie ich bin, anderen (trans*) Menschen Mut machen kann, wenn ich mit meiner Geschichte für Verständnis und Kommunikation werben kann, dann macht mich das froh. Und wenn mich das zum Aktivisten macht, dann bin ich wohl auch Aktivist.
Is halt so.
Nachsatz: Mit Henry habe ich schon viele Stunden über das „Künstler oder Aktivist“-Problem gesprochen, als ich für ihn Pressearbeit gemacht habe. Henry macht Luftaufnahmen von Industriegebieten. Seine Fotos sind wunderschön anzusehen, aber was sie zeigen, sind schlimmste von Menschen gemachte Umweltzerstörungen. Schaut euch das an: J Henry Fair - Industrial Scars